Tag 625- 732 (25.10.2020 – 03.03.2021)
Kilometer 19’048
Hallo meine liebe Leser*innen, in den letzten zwei Jahren war dies ein Abenteuerblog von einem jungen Mann der mehr oder weniger alleine die Welt bereist hat. Im Moment ist dieser Mann aber kein Weltenbummler mehr. Denn er lebt nun seit 8 Monaten in Hanoi. Trotzdem ist mein Leben nicht langweilig geworden. Und ich will weiter meine Geschichte erzählen, denn es ist toll diese frischen Erinnerungen zu dokumentieren. Somit habe ich meine eigene Zusammenfassung und kann auch in 10 Jahren noch darauf zurückschauen. Auch habe ich bis jetzt mehrheitlich nur von meiner physischen Reise berichtet, aber habe mich natürlich auch psychisch stark weiterentwickelt und will dies mit euch in den nächsten Einträgen teilen. Denn ich bin stolz auf mein heutiges Ich und hoffe, dass ich auch hier eine Inspiration sein kann. Und so sage ich danke für dein Interesse an meiner bisherigen Reise und wenn du noch ein bisschen bleiben willst: Herzlich willkommen zu einem neuen Teil meiner Geschichte.

Hanoi Dezember 2020 bis März 2021:
Ich hatte Angst vor dem Schritt in Hanoi ein Leben aufzubauen. Denn um mich wohlzufühlen, müsste ich ja Leute kennenlernen, welche ähnlich ticken wie ich. Aber gefühlt hat doch jeder hier schon genug um die Ohren und keine Zeit für Jemand neues. Es wird Zeit brauchen um einen Kreis um mich aufzubauen und genau diese Zeit will ich eigentlich nicht warten. Denn in einer Stadt fühle ich mich schnell einsam.
Auch stellt sich die Frage wie ich meine Zeit verbringen. Es wäre gut mal etwas zu arbeiten, gutes Gefühl etwas Geld zu verdienen und auch einen strukturierten Alltag zu haben. Denn die Idee von “nur” seinen Hobbys nachzugehen, ist eine sehr anspruchsvolle, wenn man den ganzen Tag Zeit hat. Ich glaube wir brauchen eine Beschäftigung und auch manchmal Druck, etwas leisten zu müssen. Das war mir vor dieser Reise noch nicht so klar, die Arbeit war halt mehr so ein Ding, was getan werden muss.
Die einfachste Variante Geld zu verdienen ist als Englisch-Lehrer. Nur hat sich die romantische Idee Lehrer zu werden, sich in den letzten Wochen verzogen und wich einer kühleren Realität. Dieser Schritt ist deutlich außerhalb meiner Komfortzone. Plötzlich war ich abhängig von Anderen. Ich müsste ja zuerst mal einen Platz finden. Auch fühlte ich mich nicht wirklich bereit, nur mit einem TEFL bewaffnet, vor eine Schulklasse zu stehen. Ich schiebe das Thema zuerst mal vor mich her und kümmere mich um nicht so wichtige Dinge. Ich wollte schon lange an meiner Gitarre ein Pickup einbauen lassen und ein Looper hätte ich eigentlich auch mal gerne. So vergehen die ersten Wochen mit Dinge erledigen und einige Bekannte treffen. Mittlerweile habe ich auch eine kleine Wohnung. Nach einigem Überlegen habe ich mich entschieden alleine zu wohnen. Mit Irgendjemandem unbekannten wollte ich nicht zusammen ziehen. Und eventuell würden Brent und Leo wieder zurückkommen und wir könnten zusammen ein Haus mieten, wie wir das schon letztes Mal getan haben.
Durch Facebook habe ich einige Kontakte für mögliche Arbeitsplätze bekommen. Alles aber eher unkonkret, oder zu komischen Zeiten. Überraschenderweise, sogar einige Stellen als Deutschlehrer. Ich realisiere es wird Zeit wohl mal wieder einen Lebenslauf zu schreiben, mein alter, welcher ich mit 16 geschrieben habe, ist wohl nicht mehr up to Date.
Beim Tanzen lerne ich eine Finnin kennen, sie lädt mich auf ein Kaffee ein und wir würden Freunde werden. Sie gab mir einige Tipps für einen guten Lebenslauf. Sie hat schon einige Erfahrungen was das anbelangt. Über ein paar Tage würde ich alles, was mein Leben in Bezug auf Lehrer sein hergibt, niederschreiben. Es fühlt sich nicht wirklich gut an, denn ich habe nur ein bisschen Erfahrung im Lehrer sein. Und das sicher nicht im Bereich der Sprachen. Aber Lügen würde ich nicht, ich will nicht etwas behaupten was nicht stimmt. Auch sollte dies ein längeres Projekt werden und nicht auf einer Lüge aufgebaut sein. Sieht es euch selbst an:

Nach der Vollendung des Werkes hieß es sich für mögliche Arbeit umzusehen. Eine einfache Variante ist als Stellvertreterlehrer auszuhelfen. Mögliche Arbeit wird in einer Englisch-Lehrer-Facebook-Gruppe einige Stunden vor Unterricht ausgeschrieben. Nach dem man den Lebenslauf gesendet hat, folgt ein Telefonat: Hast du Erfahrung mit 4 bis 6-Jährigen?
Um ehrlich zu sein nicht wirklich, ich bin ganz am Anfang. Wirklich vorbereiten kann man sich auch nicht, es gibt meistens einen vorgeschriebenen Lektionenplan, welcher man ein paar Minuten vor Beginn bekommt, diesen gilt es dann abzuarbeiten.
So hatte ich nun mein erster GIG als Englischlehrer in einer Schule namens Vinschool. Ich war nervös und holte mir noch kurz einige Tipps ab von Ali, welche selbst Englisch unterrichtet. Bevor ich dann Losfahren wollte bemerkte ich, dass ich eigentlich keine schönen Kleider habe, welche die Schulen hier normalerweise vorschreiben, denn schließlich muss ein Lehrer seriös aussehen. Da kommt es dann auch nicht mehr so darauf an, ob ich wirklich weiß, was ich tute. Bisschen gestresst kam ich 10 Minuten vor Lektion Beginn an, bekam ein Badge und wurde kurz informiert, was ich den jetzt zu tun hätte. Nun war ich also vorbereitet, dass eine Horde Kinder auf mich losgelassen wird. Das Thema war die 4 Jahreszeiten, bisschen mahlen und versuchen den Kindern Wörter abzuringen. Was mich am meisten gestresst hat, waren die zwei TA (Teacher Assistent) im Raum. Ich hatte das Gefühl, das die Zwei sicher einen besseren Unterricht machen könnten als ich. 45 Minuten sind um, schnell weiter ohne Pause zum nächsten Raum. Und schon war es zu Ende. Ich war bissel demotiviert, das war ja mal nicht so gut gelaufen. Mein TA fragte mich, wo ich den normalerweise unterrichte und ich meinte nur: Ich habe noch nie unterrichtet. Haha. Die Eltern, welche die Kinder dann abholten, waren natürlich sehr zufrieden einen Ausländer zu sehen, denn schließlich müssen Ausländer ja wissen, was sie tun. Oder so? Einige wohl bisschen mehr als andere. Aber egal. Noch schnell 800’000 Dong abgeholt, was etwa 32 Franken entspricht und ab nach Hause. Das war mein erster und letzter Englischunterricht. Denn ich fühlte mich nicht wirklich wohl dabei. Dafür habe ich auch mehrere Gründe:
Ich kann zwar gut Englisch sprechen, aber kenne bei weitem nicht den ganzen Wortschatz. Auch kommt dazu, dass meine Rechtschreibung nicht gut ist und ohne Assistent Tools auf unseren Mobilen Geräte komme ich nicht zurecht. Horrorvorstellung: Wandtafel schreiben. Auch fühle ich mich gegenüber Kleinkindern paralysiert, was wollen die denn? Was macht ihnen Spaß? Sicherlich nicht einen improvisierten Blues-Song auf meiner Gitarre. Fangen zu spielen ist wohl nicht im Sinne der Eltern. Auch sind mir die Zentren hier meistens bisschen shady, sie wollen möglichst lange Verträge haben, ein bis zwei Jahre am besten, aber ich habe nicht das Gefühl, das es hier wirklich faire Bedingungen gibt. Ich habe einige Geschichten von illegalen Lehren gehört, welche sich auf Toiletten verstecken mussten, wenn die Polizei Kontrollen machte. Die Bezahlung wäre gut, aber ich habe nicht wirklich Lust mich zu so was zu binden.

Aber ganz aufgeben wollte ich noch nicht, denn das gab es ja noch die Möglichkeit das gleiche als Deutschlehrer zu machen. Dort habe ich die Vorteile als Muttersprachler. Aber auch dort konnte ich nicht Fuß fassen. Ich hatte einige Vorstellungsgespräche und auch Probelektionen. An einem Ort war ich sogar 1 Monat lang. Wo ich auch ein gutes gefühlt hatte, aber es stellte sich heraus, dass das Deutsch Business noch schmutziger ist als das Englisch Business. Wieso? Weil wer in Vietnam Deutsch lernt, hat nur ein Ziel und zwar nach Deutschland zu kommen. Wie das? In dem man eine Lehre als Krankenpfleger*in macht. Aber für das ein Vietnamese*in eine Lehre in Deutschland machen kann fließt viel Geld. Denn es braucht Agenturen, welche sich diesen Service teuer bezahlen lassen. Durchschnittlich 10 bis 15’000 Dollar muss ein Schüler*in hinlegen. Da sitzen nun also bis zu 150’000 Dollar in einem Klassenraum. Meistens in heruntergekommen Gebäuden, dreckig ohne Infrastruktur. Alle mit dem Ziel nach Deutschland zu kommen. Das vietnamesische Bildungssystem ist aber nicht das Beste, das Ziel ist die Prüfungen zu bestehen und die Grammatik zu begreifen, aber die Sprache als Tool zu benutzen und damit zu kommunizieren, wird hier nicht gelernt. So können A2 Lehrende mir besser erklären wie die Grammatik funktioniert aber sie können mir nur schwer auf einfache Fragen antworten. Wieso es aber beim Deutsch-Unterricht nicht geklappt hat, ist mir nicht wirklich klar. Es könnte daran liegen, dass vielen Zentren mein Style nicht gefallen hat, Bart, lange wuschige Haare und auch keine Designer Kleider. Aber für irgendwelche Leute mich zum Hampelmann zu machen habe ich auch nicht wirklich Lust. Irgendwie muss ich aber Geld verdienen, denn genau dieses geht mir langsam aus. Auch fühlt sich keine Routine zu haben über längere Zeit miserabel an.
Mein Problem ist, das ich alles nur ein bisschen kann. Ich kann tanzen, Gitarre spielen und singen, bisschen Klavier und bin grundsätzlich ein extrovertierter Mensch. Aber etwas zu finden, wo ich damit Geld verdienen kann, ist schwierig. Ich könnte versuchen etwas selbst aufzubauen, zum Beispiel Gitarrenlektionen zu geben. Denn während den letzten Jahren habe ich mir schon ein solides Grundwissen angeeignet, eigentlich auch cool dafür bezahlt zu werden, denn so könnte ich selbst noch mehr Zeit investieren. Aber wie anfangen? Wie finde ich potenzielle Kunden? Wie viel darf ich denn verlangen? Zu viele Fragen und Unklarheiten ließen mich über mehrere Wochen diesen Schritt einfach mal zu starten vor mich herschieben. Durch Hilfe von einige Bekannten und Facebook im Allgemeinen konnte ich erste Werbung machen und würde kurz darauf meine ersten Probelektionen haben. Auch baute ich mir meine eigene kleine Facebook Page zusammen damit man mein Service leichter finden würde. Und so hatte ich schon bald 3 bis 4 regelmäßige Schüler. Ich bräuchte um die 10 Schüler das ich mir mein Leben hier finanzieren könnte. Ich verlangte um die 400 bis 500’000 Dong pro Stunde was umgerechnet 20 Franken sind. Gutes Gefühl sein eigenes Ding zu machen, nicht dazuzugehören zum einfachen Englisch-Lehrer Zug. Auch keine „Chefs“ zu haben welche mir sagen, wie ich die Sachen zu tun habe. Es stört mich aber die Ineffizienz an dieser Art zu unterrichten, denn ich muss immer zu meinen Schülern nach Hause fahren. Pro Lektion würde dann schon mal mit Vorbereitung bis zu drei Stunden vergehen. Irgendwie auch nicht so befriedigend, für nur eine davon bezahlt zu werden.


Meine einzige richtige Ausbildung habe ich als Bauzeichner abgeschlossen. So habe ich mir in der Schweiz mein Lebensunterhalt verdient. Nur ist es wohl unmöglich im vietnamesischen Markt Fuß zu fassen. Auch würde ich sicherlich nicht gut bezahlt werden, im Vergleich zum Lehrerbusiness. Denn schließlich bin ich da ersetzbar und ohne Vietnamesisch Kenntnisse eher unbrauchbar.
Aber mal genug vom Arbeiten erzählt und zurück zu anderen Sachen:

Meine Angst das ich mich nicht ins soziale Leben integrieren könnte war nach wenigen Tagen verflogen. Schon bald kannte ich einige Leute aus der Tanzszene und bei meinem ersten open Mic wurde ich zu einer kleine privaten Jam Session eingeladen. Auch hatte ich ein Post auf Facebook gemacht, um herauszufinden was es für Möglichkeiten hier gab oder wer an meiner Arbeit interessiert sein könnte. Dadurch habe ich einen Deutschen kennengelernt, welcher mich später auf ein Chor Projekt hinwies, wo ich doch mal vorbeischauen soll. Hanoi Voices ist ein internationaler Chor welcher von einem vietnamesischen Dirigenten geleitet wird. Dadurch haben wir viele größere Auftritte. Es war z.B. FAURE geplant, welches wir dann im Hanoi Opernhaus gesungen hätten. (Durch Korona wurde dies aber pausiert) Am Anfang des Jahres habe sie auch noch Les Miserable gespielt. Ich kenne es noch von meiner Kindheit und hatte viel Freue, es mal wieder zu sehen. Viele gute Leute allen altern und Nationen und auch ziemlich ambitioniert, aber trotzdem auch sehr unbeschwert. So bin ich nun seit 7 Monaten in einem Chor und lerne nach Noten zu singen. Wir hatten schon zwei größere Auftritte: Ein Weihnachtskonzert und ein Wohltätigkeit-Konzert. In diesen Videos könnt ihr mein ernstes Gesicht singen sehen:
Ich durfte auch meine Adobe Premiere CC Wissen auffrischen und die Videos für eine Gratis-Mitgliedschaft im Chor zusammenschneiden. Und ja mir war nicht bewusst, dass ich so ernst dreinschaue. 😉 Daran werde ich arbeiten.






Im Moment fühle ich mich sehr wohl in meiner Haut und mit meinen Veränderungen, welche ich durchgemacht habe in den letzten Monaten. Und so wollte ich diesem Gefühl noch ein bisschen mehr Platz geben und beschloss mich bei einem Live Drawing Event als Model zu melden. Was bedeutet das man zwei Stunden nackt vor fremden Leuten steht, welche dich dann in verschiedenen Posen zeichnen. Es war eine gute Erfahrung. Ein Statement für mich selbst, dass es mir nicht wichtig ist, was andere von mir denken könnten, auch wenn ich nicht perfekt bin und meine Makel haben. Eine Idee wie das Aussehen kann findest du hier:
Auch habe ich hier die Hintergrundmusik eingespielt. Ein erstes kleines Musikprojekt.


Musik ist grundsätzlich ein größeres Thema in den Monaten hier in Hanoi. Durch die mehreren Lockdowns hatte ich genügend Zeit bisschen mehr Gitarre zu spielen. Und auch mal wieder einige Klavierstücke aufzufrischen. Hier findest du ein paar Beispiele:
https://fb.watch/72dvbY1lyp/ -> Free Fallin Loop Cover
https://fb.watch/72dtIOifbe/ -> Nuvelo blanche
Viel Musik.



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